IM GESPRÄCH MIT DER DROBS

Ein Interview mit Drobs-Redakteurin Jane Jannke

Seit 20 Jahren beschäftigt sich die einzige Dresdner Straßenzeitung, die drObs, mit sozialen Themen. Die VerkäuferInnen können 0,70 Euro aus dem Verkaufserlös behalten, haben damit ein Einkommen, eine sinnvolle Beschäftigung und erfahren soziale Anerkennung. In der Schreibwerkstatt werden sie professionell angeleitet, so dass einige Artikel der drObs aus ihrer Feder stammen. Mit einer Auflage von bis zu 4.000 Stück pro Monat ist die drObs ein vielen Bewohnern bekannter Teil der Dresdner Stadtkultur, die wichtige soziale Fragen aufwirft und in den öffentlichen Raum trägt.

Das Umundu-Festival lädt in diesem Jahr zu Vorträgen, Workshops, Ausstellungen und Filmen unter dem Titel: Armut & Reichtum: Unsere Zukunft in einer geteilten Welt. Die Drobs ist in diesem Jahr KooperationspartnerIn und hat anlässlich des Festivalschwerpunktes seine aktuelle Oktober-Ausgabe dem Thema Ungleichheit gewidmet. Das Umundu-Team hat der leitenden Journalistin Jane Jannke ein paar Fragen gestellt.

Umundu: Die drObs existiert nun schon seit 20 Jahren. Seit wann bist du eigentlich dabei? Und wie kam es dazu?

Jane: Seit Februar bin ich dabei. Davor war ich als freie Journalistin tätig und suchte dann aber ganz gezielt eine neue Aufgabe – eine, die meiner Arbeit einen tieferen Sinn gibt. Soziale Themen wie Armut und Obdachlosigkeit hatte ich auch schon vorher im Blickfeld, aber bei der drObs habe ich die Chance zudem auf Tuchfühlung mit Menschen zu gehen, die ich sonst nie getroffen hätte. Das ist eine starke Bereicherung für mich. Das ist eine Art Erdung, die vielen Menschen hier gut tun würde.

Umundu: Ihr seid ein Verein, der nicht nur journalistisch mit der Herausgabe der drObs aktiv ist. Eure Arbeit geht weit darüber hinaus. Wie gestaltet sich das aus? Was möchtet ihr bewirken?

Jane: Der Verein gründete sich 1997, die erste Straßenzeitung erschien dann 1998 mit dem Ziel sich der Bevölkerungsgruppe anzunehmen, die sonst nicht wahrgenommen wird – höchstens als Störfaktor. Für Menschen da zu sein, die obdachlos sind, die in Übergangswohnheimen leben – eben auf der Schattenseite des Lebens stehen. Selten ist es der Fall, dass sie da nicht heraus wollen. Häufig stehen traurige, tragische Biografien dahinter. Wir bieten ihnen einen offenen Treff, Kontakte, ein soziales Netzwerk, eine Aufgabe und geben ihnen damit die Möglichkeit zurückzukehren in das soziale Leben und ein Stück weit selbstbestimmt zu leben.

Umundu: Was sind die schwierigsten Hürden, mit denen ihr regelmäßig zu kämpfen habt?

Jane: Momentan sind wir in der glücklichen Lage, dass wir eine Förderung der Stadt bekommen. Einen gewissen Teil müssen wir durch den Verkauf der Zeitung erwirtschaften. Da geht es uns wie den großen Tageszeitungen. Wir haben eine Auflage, die wir verbessern wollen und steigende Kosten – wie überall. Wir sind allerdings auf Spenden angewiesen. Einige Stammspender unterstützen uns teilweise schon seit Jahren. Dafür sind wir sehr dankbar.
Was uns aktuell umtreibt, ist der Abriss unseres Bürogebäudes bis 2019. Hier sitzen sehr viele Vereine, die auf die niedrige Miete angewiesen sind. Wenn dann alle gleichzeitig neue Räume suchen zu ähnlichen Konditionen, wird die sowieso schon angespannte Immobiliensituation in Dresden noch schwieriger. Wir sind daher jetzt schon auf der Suche nach einem neuen Domizil: Jetzt ist die drObs selbst mal auf Obdachsuche.

Umundu: Wie stellt sich für euch die Situation in Dresden bezüglich der Armutsgefährdung dar? Konntet ihr in den vergangenen Jahren bestimmte Entwicklungen bezüglich der Anzahl oder der Lage von Armut betroffener Menschen bemerken?

Jane: Derzeit sind in Dresden 300 bis 400 obdachlose Menschen verzeichnet. 800 offiziell wohnungslose Menschen gibt es, also Leute, die bei anderen für einige Zeit unterkommen können. Die Dunkelziffer bei dieser verdeckten Obdachlosigkeit ist allerdings sehr hoch. Migration innerhalb der EU ist ein großes Thema, weil das Menschen sind, die in den Statistiken nicht erfasst werden. Häufig kennen nur wir sie dann oder andere soziale Vereine, weil sie direkt auf uns zukommen und Hilfe suchen, die sie bei den Behörden nicht finden. Was für uns auch sichtbar ist, dass mitunter andere Menschen zu uns kommen als vor wenigen Jahren. Teilweise sind nun Rentner dabei, die sich etwas dazu verdienen wollen. Aber auch Migranten, die einfach nicht wissen, wo sie schlafen können. Es ist für nicht deutsche EU-Bürger nicht einfach Obdach zu bekommen.
Armut begegnen wir jeden Tag. Unsere Verkäufer sind finanziell arme Menschen, die meisten leben von Hartz IV aber auch nicht alle. Einige leben tatsächlich nur von den Einnahmen durch die Verkäufe. Aber das macht eben auch den großen Unterschied für viele. Sie sind zwar immer noch arm aber dafür stolz, weil sie es geschafft haben, sich an den eigenen Haaren herauszuziehen.
Kinderarmut ist auch in Dresden leider ein Thema. Bei uns gilt tatsächlich jedes sechste Kind als arm. Dies betrifft vor allem Kinder aus alleinerziehenden oder kinderreichen Familien. Da können die Tafeln z.B. ein Lied davon singen. Das ist alles in den meisten Fällen nicht offensichtlich. Armut ist schambehaftet – die Leute ziehen sich eher zurück und suchen ihre Nischen.

Umundu: Wir freuen uns, in diesem Jahr mit euch als Kooperationspartner im Rahmen des Umundu-Festivals für nachhaltige Entwicklung zusammenarbeiten zu können. Was bedeuten Nachhaltigkeit oder nachhaltige Entwicklung für euch. Wo seht ihr Anknüpfungspunkte an eure Themen?

Jane: Für uns passt das Kernthema Armut und Reichtum haargenau. Das ist ja unser Thema schlechthin. Ich sehe einige Anknüpfungspunkte zwischen Nachhaltigkeit und Armut. Nachhaltiges Denken umfasst ja nicht nur den Schutz der Umwelt, sondern auch den Schutz der Gemeinschaft. Die soziale Schere, die auseinander klafft, meine ich damit im Speziellen. Die Solidargemeinschaft ist für uns essentiell und die wollen wir mit unserem Projekt leben.

Umundu: Ihr habt ja auch eine Veranstaltung im Rahmen des Umundu-Festivals, wo ihr eure Redaktion für das breite Publikum öffnet. Was erhofft ihr euch davon?

Jane: Unsere Verkäufer werden vor Ort sein und damit besteht direkte Kontaktmöglichkeit. Auf der Straße weiß man oft nicht wie man reagieren soll. Viele wissen nicht, ob sie den Verkauf der Straßenzeitung als betteln oder doch als erwerbstätig einstufen sollen. Das alles passiert ja im öffentlichen Raum – das ist komplizierter, als wenn die Begegnung in einem geschützten Raum stattfindet. Diesen wollen wir öffnen und auch zeigen, was wir alles machen. Interessierte können ja ein bestimmtes Thema platzieren oder auch für die Zeitung schreiben. Wir suchen immer Menschen, die kreativ tätig werden wollen.

Umundu: Wenn du einen großen Wunsch frei hättest für die Arbeit der drObs, was wäre das?

Jane: Ich wünsche mir, die Leute würden offener durch die Straßen gehen. Mir ist es wichtig zu betonen, dass es die Verkäufer viel Kraft kostet, diesen Schritt zu wagen. Dieser ist häufig der Beginn für einen gelungenen Neustart. Ich wünsche mir mehr Respekt für Menschen, die alles tun, um ihr Leben wieder in Griff zu bekommen.